Staat & Nazis Hand in Hand?

Mit der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Herbst 2011, wurde gleichzeitig ein breites Unterstützernetzwerk aufgedeckt. Die Sicherheitsbehörden hatten bis zu 43 Spitzel im Umfeld der Terrorgruppe. Der Staat steckte also knöcheltief im rechten Terror. Dass nicht nur die Justiz auf dem rechten Auge blind ist, sondern auch die Exekutive willentlich mit militanten Neonazis zusammenarbeitet, schockte breite Teile der Zivilgesellschaft. Die linke Parole „Staat und Nazis Hand in Hand, organisiert den Widerstand!“ wurde für viele Menschen nachvollziehbar.

Jetzt, acht Jahre später, deckt der Staat fast monatlich militante Neonazistrukturen auf, räumt die Waffenlager von FaschistInnen und legt sich mit ReichsbürgerInnen an. War der NSU doch nur ein Ausrutscher oder hat gar ein Wandel in den staatlichen Behörden stattgefunden? Natürlich nicht. Denn gleichzeitig machen Meldungen von faschistischen Strukturen in der Bundeswehr, offener Antisemitismus in Spezialeinheiten der bayerischen Polizei und Feindeslisten, welche den FaschistInnen offensichtlich aus Polizeikreisen weitergeleitet wurden, die Runde. Bei rechtsterroristischen Anschlägen, wie in Halle oder dem Mord an Walter Lübcke, sind die Behörden bemüht die Erzählung vom „Einzeltäter“ zu verbreiten. Gleichzeitig fährt in der ganzen Republik eine Partei mit einem offen faschistischen Flügel einen Wahlerfolg nach dem anderen ein. Wie passt das alles zusammen? Und droht uns mit dem Aufstieg der Rechten ein neuer Faschismus?

Diese Frage wird in der antifaschistischen Bewegung gerade mit unterschiedlichen Einschätzungen diskutiert. Gerade die Aufdeckung verschiedener bewaffneter Neonaziorganisationen mit Namenslisten linker AktivistInnen in der Tasche hat viele AntifaschistInnen verunsichert. Denn es fehlt zum einen an einer theoretischen Analyse, die die sich überschlagenden und auf den ersten Blick widersprüchlichen Ereignisse in einen Zusammenhang stellt, und zum anderen an einer praktischen Antwort auf eine sich bewaffnende Rechte.

Wir wollen mit dieser Broschüre die Entwicklungen der letzten Jahre und die Ereignisse der letzten Monate in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellen und so die Debatte um eine angemessene antifaschistische Strategie weiter vorantreiben. Dazu gehen wir zunächst auf die aktuelle historische Situation ein und leiten daraus die Motivation der Polizeibehörden im Umgang mit bewaffneten FaschistInnen ab. Doch die Frage eines neuen Faschismus wird nicht nur von kleinen faschistischen Gruppen gestellt. Der Rechtsruck hat mit der AfD eine Partei hervorgebracht, die eine nicht mindere Gefahr für uns ist. Der antifaschistische Kampf ist durch den Aufstieg der Rechten ein noch zentralerer Bestandteil fortschrittlicher Kämpfe geworden.

Kein Fußbreit den FaschistInnen!

Erstarken der militanten Rechten und die Reaktion des Staates

Seit der letzten großen Wirtschaftskrise vollzieht sich in vielen Ländern der Welt ein Rechtsruck. Im Windschatten dieser Entwicklung konnte auch die militante Rechte erstarken. In Deutschland äußert sich diese Entwicklung beispielsweise in den unzähligen Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte. Zwar erübrigte sich deren Zweck mit dem Schließen der europäischen Außengrenzen und ihre Zahl nahm wieder ab, doch die BrandstifterInnen sind immer noch da.1

Weniger offensichtlich bildeten sich mit dem Aufschwung der rechten Bewegung immer mehr bewaffnete faschistische Gruppen. Wie viele es mittlerweile sind, kann wohl außer dem Verfassungsschutz niemand sagen. Doch die Anzahl der Gruppierungen, welche in den letzten zwei Jahren aufgedeckt wurden, gibt zumindest einen verschwommenen Einblick. Der Mord an Walter Lübcke2 und die Aufdeckung der Organisation „Nordkreuz“3 dürften den meisten noch am besten im Gedächtnis sein. Aber auch das Waffenlager in Hannover4, der geplante Aufstand der Gruppe „Revolution Chemnitz“5 oder die Gruppe „Nordadler“6 sind ebenfalls Beispiele dieser Entwicklung.

Um die eigentliche Frage zu beantworten, muss allerdings auch ein Blick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung geworfen werden. Die letzte große Wirtschaftskrise im Jahr 2007 brachte die kapitalistische Akkumulation weltweit ins Wanken. Im Vergleich zu den südeuropäischen Ländern, waren die Auswirkungen der Krise in Deutschland verhältnismäßig gering. Den großen Angriff auf die Rechte der Lohnabhängigen gab es hier jedoch bereits Jahre zuvor mit der „Agenda 2010“ der rot-grünen Regierung. Außerdem wurden die Krisenlasten mit Hilfe der EU größtenteils auf die südeuropäischen Staaten abgewälzt. So konnte sich die Lage relativ schnell wieder stabilisieren, ohne dass es große Proteste in weiten Teilen der Bevölkerung gab. Doch auch dem deutschen Kapital wurde abermals vor Augen geführt, wie schnell der Kapitalismus ins Wanken gebracht werden kann. Griechenland wurde von der Krise besonders hart getroffen. Daraufhin entwickelte sich dort ein massiver Widerstand innerhalb der Bevölkerung. Und auch wenn in diesem Fall alles wieder in systemkonforme Bahnen gelenkt worden konnte, zeigte die kämpferische Bewegung in Griechenland, wie schnell sich in Krisenzeiten Dynamiken entwickeln können.

Die Methoden zur Krisenbewältigung, welche den Laden beim letzten Mal gerade noch zusammen gehalten hatten, sind für die nächste Krise keine Option mehr. Die Auswirkungen der Krise wurden vor allem auf der Grundlage einer massiven Ausweitung der öffentlichen Verschuldung bekämpft. Die Zentralbanken setzten den Leitzins auf Null und kauften Staatsanleihen im Wert von mehreren Billionen Euro. Das Zinsniveau ist immer noch auf einem historischen Tief und die Staatsverschuldungen sind hoch. Damit verengen sich die ökonomischen Spielräume für die Lösung der nächsten zu erwartenden Krise. Darüber hinaus ist die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa immer noch exorbitant hoch und viele Länder wie zum Beispiel Frankreich befinden sich in tiefen politischen Krisen.

Der nächste Crash wird kommen und er wird auch in Deutschland einschlagen. Durch die starke Exportorientierung ist das deutsche Kapital besonders abhängig von der Lage der Weltwirtschaft. Und so werden bereits jetzt Vorbereitungen für die nächste Krise getroffen. Durch die neuen Polizeiaufgabengesetze (PAG) werden die Befugnisse der Sicherheitsbehörden erweitert und der Überwachungsstaat ausgebaut. Auch die Umgehung demokratischer Mitbestimmung mittels der EU und die Einschränkung des Streikrechts zeigen, dass die herrschende Klasse auf den autoritären Staat setzt, um auch die nächste Krise zu überstehen.

Doch warum arbeitet die Bourgeoisie nicht gleich auf den Aufbau einer faschistischen Diktatur hin? Die Interessen des Kapitals gegen revoltierende Lohnabhängige lassen sich in der Krise doch wohl kaum besser durchsetzen, als durch fanatische FaschistInnen. Doch genau darin liegt auch das Risiko für die Bourgeoisie. Sie muss hierbei einen Teil ihrer Macht an die FaschistInnen abgeben. Und dies ist für sie mit einigen Risiken verbunden. Solange es den gemeinsamen Gegner – die organisierte ArbeiterInnenbewegung – gibt, können Widersprüche innerhalb der faschistischen Bewegung oder zwischen Kapital und faschistischer Bewegung überdeckt werden. Doch auch historisch war die erste Zeit nach der kompletten Zerschlagung der Arbeiterbewegung (ab Mitte 1933) durch Richtungskämpfe innerhalb der NSDAP-Elite geprägt. Die Politik der FaschistInnen war in weiten Teilen deckungsgleich mit den Interessen des Kapitals, trotzdem kam es immer wieder zu Konflikten. Sollten diese einmal zu groß werden, lässt sich eine parlamentarische Regierung letztendlich deutlich leichter absetzen, als eine faschistische Diktatur. Und die FaschistInnen sind keineswegs bloße BefehlsempfängerInnen der herrschenden Klasse. Vereinfacht gesagt kann ihre Politik auch im Chaos und in der totalen Niederlage enden. Der unglaubliche Aufwand mit welchem die physische Vernichtung der JüdInnen betrieben wurde, war nicht unbedingt im Sinne der herrschenden Klasse. Im Gegenteil: die Fokussierung der faschistischen Führung auf ihren antisemitischen Wahn mitten im zweiten Weltkrieg trieben Teile der herrschenden Klasse in eine oppositionelle Haltung zum NS-Regime, die bis hin zur Vorbereitung zum Tyrannenmord reichte.

Mögen die Gewinnaussichten noch so traumhaft sein, wenn die Überreste des Sozialstaats und der Gewerkschaften beseitigt sind, ist die herrschende Klasse langfristig doch darauf angewiesen, auf ein stabiles politisches System bauen zu können. Aus diesem Grund ist der Faschismus für die Bourgeoisie immer der letzte Notnagel in einer ansonsten ausweglosen Situation. Solange weniger risikoreiche Herrschaftsmöglichkeiten eine Option sind, wird sie auch auf diese setzen.

Für die heutige Lage schließen wir daraus, dass der bürgerliche Parlamentarismus mit seinen Volksparteien zwar angezählt sein mag, aber immer noch funktioniert. Offensichtlich arbeitnehmerInnenfeindliche Politik, wie die Hartz-Reformen oder die oben aufgezählten Entwicklungen, lassen sich ohne großen Widerstand durchsetzen. Die faschistische Bewegung wird deshalb nur von kleinen Teilen des Kapitals unterstützt. Konsequent bekämpft wird sie natürlich nicht, weil die grundlegenden Pfeiler des Kapitalismus durch die FaschistInnen niemals angetastet werden.

Auf der Agenda der FaschistInnen steht zurzeit vor allem eins: Rache an den „Schuldigen“ der „Flüchtlingskrise“. In ihrem Weltbild kommen Geflüchtete nicht nach Europa, weil sie vor Krieg, Hunger und Armut flüchten, sondern aufgrund eines angeblichen Plans zum großen „Bevölkerungstausch“. Demnach würden die Eliten der bürgerlichen Politik daran arbeiten, durch gezielte Zuwanderung die europäischen Völker unter Druck zu setzen, um willige ArbeitssklavInnen zu erhalten. Der Linken wird vorgeworfen die passende Hegemonie dazu herzustellen. Und so stehen neben Linken eben auch eine ganze Reihe bürgerlicher PolitikerInnen auf den Todeslisten der Nazis. Der Mord an Walter Lübcke und die Mordversuche an Andreas Hollstein7 und Henriette Reker8 zeigen diese Tendenz des Rechtsterrorismus. Die Verselbständigung der faschistischen Ideologie wird hier deutlich.

Denn zumindest solange die bürgerliche Demokratie noch im Sinne der Herrschenden funktioniert, hat das Kapital kein Interesse an Angriffen auf politische MandatsträgerInnen. Aus diesem Grund werden die putschistischen Kräfte innerhalb der militanten Rechten eingebremst.

Mehr wird im staatlichen Kampf gegen rechten Terror aber auch nicht passieren. Solange FaschistInnen ihre Angriffe auf Linke und vermeintliche AusländerInnen beschränken, bleibt die Praxis von Polizei und Verfassungsschutz die gleiche wie schon vor der Selbstenttarnung des NSU. Die unzähligen ungeklärten Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte und linke Hausprojekte, sowie Übergriffe auf MigrantInnen sprechen für sich.

Ein Beispiel hierfür ist die Gruppe „Revolution Chemnitz“. Die Mitglieder waren schon jahrelang in verschiedenen rechtsradikalen Strukturen in Sachsen aktiv. Mindestens vier hatten bereits in der Gruppe „Sturm 34“ Erfahrung in Hetzjagden, Waffenbeschaffung und dem Aufbau terroristischer Organisationen gesammelt. Die Gruppe wurde 2006 unter Beteiligung eines Geheimdienstspitzels gegründet und wütete zwei Jahre lang in Sachsen. Obwohl mehrere Opfer lebensgefährliche Verletzungen davon trugen, musste niemand mit schweren Strafen rechnen. Christian Keilberg, der sowohl bei „Sturm 34“, als auch später bei „Revolution Chemnitz“ Führungsrollen übernahm, hatte seit 2006 zudem regelmäßig Kontakt zum Verfassungsschutz. Auch als „Revolution Chemnitz“ konnte die Gruppe unbehelligt Menschenjagden auf MigrantInnen veranstalten. Sie beteiligten sich unter anderem an den Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018 und patrouillierten als „Bürgerwehr“ durch die Stadt. Erst aber, als sie mit konkreten Vorbereitungen für einen Putsch begannen, wurden sie von den Behörden als ernstzunehmende Bedrohung wahrgenommen. Im Oktober 2018 wurde die Gruppe schließlich verhaftet. Diesmal waren aber nicht MigrantInnen das Ziel, sondern die Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung in Berlin. Die FaschistInnen hofften durch den Terroranschlag einen Bürgerkrieg auszulösen und infolgedessen die Regierung zu stürzen.

Natürlich bekommen Polizei, Geheimdienst und Staatsanwaltschaften keine Anweisungen des Kapitals, ob und wann sie eine faschistische Terrorgruppe hochnehmen sollen. Das die Polizeibehörden aber auf dem rechten Auge blind sind, ist kein Zufall. Zum einen legt das die Geschichte dieser Behörden nahe. Das Bundeskriminalamt (BKA) wies bei seiner Gründung genauso wie die Justiz oder der Verfassungsschutz eine große personelle und strukturelle Kontinuität zur Zeit des Faschismus auf. Aufgebaut wurde es von ehemaligen SS-Angehörigen. Diese Leute wurden in erster Linie für diese Aufgaben ausgewählt, weil sie stramme AntikommunistInnen waren und sind. Und zum anderen ist das aber auch die logische Folge einer ihrer grundlegenden Aufgabe innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft; dem Schutze der herrschenden Eigentumsverhältnisse.

Der Umgang des Staates mit faschistischen Strukturen hängt aber noch von mehreren Faktoren ab. Wie gut ist die Organisation mit Spitzeln durchsetzt? Hat sie internationale Kontakte? Welche Aktionen plant sie im Einzelnen und wie konkret sind ihre Pläne? Für uns ist wichtig festzuhalten, dass dieser Staat niemals grundsätzlich gegen die faschistische Bewegung vorgehen wird. Einzelne Verhaftungen oder Verbote ändern daran nichts.

Das „Hannibal“-Netzwerk – eine faschistische Geheimarmee?

Im August 2017 und im April 2018 fanden mehrere Durchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern gegen die „Nordkreuz“-Struktur statt. Öffentliche Aufmerksamkeit erlangten diese Fälle allerdings erst im Juni 2019, als die Bundesanwaltschaft ihre ersten Ergebnisse präsentierte und die Dimension der rechten Terrororganisation sichtbar wurde. „Nordkreuz“ rekrutiert sich hauptsächlich aus SoldatInnen und PolizistInnen, vorwiegend aus Spezialeinheiten. Sie verfügen mit „Süd-“ und „Westkreuz“ über bundesweite Strukturen. Offen auftretende FaschistInnen befinden sich nicht unter den Mitgliedern, wohl aber sind sie in der Szene gut vernetzt. Die Struktur legt großen Wert darauf unter dem Radar zu bleiben. Für ihr Vorhaben ist das auch unumgänglich. Das „Kreuz“-Netzwerk – auch als „Hannibal-Netzwerk“ bekannt – wurde ins Leben gerufen, um bei einem Sturz der aktuellen Ordnung die linke Opposition zu liquidieren. Hierfür wurden Feindeslisten angelegt, mehrere zehntausend Schuss Munition gebunkert, Waffen beschafft und Passierscheine zum Überwinden von Straßensperren besorgt. Auf der Einkaufsliste standen zudem 200 Leichensäcke und Ätzkalk zur Desinfektion von Massengräbern.

Ihre Ziele und die Art der Organisation weist Ähnlichkeiten zu den „stay behind“ – Strukturen, die während des Kalten Krieges aktiv waren, auf. Unter „stay behind“- Strukturen versteht man paramilitärische Verbände, die im Falle einer feindlichen Besetzung nachrichtendienstliche Aufklärung leisten und Sabotageakte gegen die Besatzungsmacht ausführen. Die NATO betrieb von 1947 bis 1991 nachweislich in mehreren europäischen Ländern solche Netzwerke. Anfänglich um im Falle eines sowjetischen Einmarsches hinter den feindlichen Linien kämpfen zu können. Rekrutiert wurden hierfür stramme AntikommunistInnen. Zu Beginn hauptsächlich ehemalige Mitglieder der Waffen-SS und Mussolini-FaschistInnen, später Mitglieder aus diversen neofaschistischen Strukturen. Für ihren ursprünglichen Zweck kamen die Geheimarmeen nie zum Einsatz, was aber nicht heißt, dass diese untätig geblieben wären. Anfang der 70er Jahre begannen sie im Zuge der „Strategie der Spannung“ terroristische Anschläge zu verüben, welche sie der Linken anhängen wollten, um diese zu diskreditieren. Ihre Aktionen reichten von Sprühereien bis hin zu Bombenanschlägen und gezielten Morden an PolizistInnen. Am bekanntesten ist wohl der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im August 1980 mit 85 Toten, wofür kurz danach die Roten Brigaden beschuldigt wurden. In den nachfolgenden Ermittlungen konnte aber nicht mehr verheimlicht werden, dass faschistische Todesschwadronen mit dem Namen „Gladio“, welche Teil der NATO-Geheimarmeen waren, hinter dem Anschlag steckten. Die italienische Regierung musst daraufhin deren Existenz offiziell einräumen.

In Deutschland wurden ab 1950 mit dem „Bund Deutscher Jugend“, dem „Technischen Dienst“ und dem „Schweigenetz“ geheime faschistische Verbände aufgebaut. Im Gegensatz zu Italien, Belgien und der Schweiz, in denen es nach dem Ende des Kalten Krieges Untersuchungsausschüsse zu den Geheimarmeen gab, wurde in Deutschland der gesamte Komplex unter den Teppich gekehrt. Mit dem Ende des Systemkonflikts wurden solche „stay-behind“-Strukturen überflüssig. Bei den heutigen Netzwerken handelt es sich also um ein anderes Phänomen. Auch ohne Kalten Krieg hat der Staat ein Interesse daran, sich ein gut organisiertes, ideologisch gefestigtes, und verlässliches paramilitärisches Potenzial zu erhalten. Über das Maß an Eigenständigkeit des „Hannibal“-Netzwerks und über die Beteiligung von Geheimdiensten kann zwar nur spekuliert werden, dass sich solche Netzwerke völlig ohne Wissen der Geheimdienste bilden können, ist aber zu bezweifeln.

Aufgeflogen ist das „Kreuz-Netzwerk“ wohl, weil einigen Mitgliedern der „Tag X“ noch in zu weiter Ferne lag und sie deshalb versuchten, diesen selbst herbei zu führen. Auch der Soldat Franco Albrecht war wohl Teil des Netzwerks. Er versuchte sich als Geflüchteter auszugeben, um anschließend Anschläge zu verüben und dadurch den „Tag X“ auszulösen. Auf seiner Todesliste standen neben antifaschistischen AktivistInnen und dem Zentralrat der JüdInnen auch der damalige Bundespräsident Joachim Gauck und der damalige Justizminister Heiko Maas. Auch die Pläne einiger weiterer Mitglieder der Struktur sollen schon sehr konkret gewesen sein. Die Behörden stoppten die putschistischen RechtsterroristInnen kurz vor der Durchführung ihrer Aktionen. Harte Strafen gab es aber in keinem Fall.

Zerschlagen wurde das „Hannibal“- Netzwerk auch nicht. Lediglich die Munitionsvorräte und die nicht registrierten Schusswaffen wurden beschlagnahmt. Hierfür werden einige Mitglieder des Netzwerks wohl auch angeklagt. Der Großteil der Organisation bleibt aber unangetastet. Auch bei Franco Albrecht und seinen UnterstützerInnen, bei denen bereits ausgearbeitete Anschlagspläne, Schusswaffen, Munition und Zünder gefunden wurden, ließ das Oberlandesgericht Frankfurt das Verfahren einstellen, noch bevor überhaupt Anklage erhoben wurde. Der Fall liegt allerdings noch beim Bundesgerichtshof.

Droht mit dem Aufstieg der AfD ein neuer Faschismus?

Der Aufstieg der AfD begann im Kontext der sogenannten „Eurokrise“. Die Partei profilierte sich mit einer Kritik der EU von rechts. Das Projekt Europäische Union entstand unter deutscher Federführung, um die Interessen der eigenen Bourgeoisie durchzusetzen. Über die Währungs- und Zollpolitik der EU konnten die Exportprofite des deutschen Kapitals gegenüber anderen europäischen Länder noch weiter ausgebaut werden. Darüber hinaus diente die EU auch zur Erlangung einer besseren Position auf dem Weltmarkt.

Allerdings profitiert nicht die gesamte deutsche Bourgeoisie vom Projekt EU. Viele Verordnungen, welche in Brüssel erlassen werden, richten sich direkt oder indirekt gegen die kleinen Konkurrenten der Großkonzerne. Klein- und Mittelständische Unternehmen können ihre Interessen nicht durch tausende von LobbyistInnen im EU-Parlament durchsetzen. Auch diejenigen UnternehmerInnen, die ihren Reichtum aus Geschäften mit Russland ziehen, haben in der EU das Nachsehen. Tonangebend sind große Industrieunternehmen und Finanzkapitalverbände.

Mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2007 gerieten die südlichen Länder der EU, allen voran Griechenland, stark unter Druck. Da sie mit dem Beitritt zum Euro allerdings über keine eigene Währungspolitik mehr verfügten, fehlten ihnen die Möglichkeiten, Einfluss auf den weiteren Verlauf der Krise zu nehmen. Die Politik der Europäischen Zentralbank richtete sich ausschließlich darauf, die Krise von den wirtschaftlich starken Staaten Zentraleuropas fern zu halten. Dadurch verschärfte sie sich allerdings immer mehr und gipfelte 2010 in der Eurokrise. Griechenland und andere EU–Staaten standen zu dieser Zeit schon kurz vor dem Kollaps und mussten von den anderen Ländern „gerettet“ werden, um nicht die gesamte EU mit in den Abgrund zu reißen. Die „Rettung“ bestand darin die Zahlungsfähigkeit durch weitere Kredite zu gewährleisten. Im Gegenzug musste Griechenland fast allen Staatsbesitz zu Schleuderpreisen privatisieren, das Lohnniveau massiv senken, und Sozialleistungen im großen Stil abbauen.

Unter diesen Umständen gründet sich im Februar 2013 die AfD. Von Anfang an vertrat die AfD die Interessen desjenigen Teils des deutschen Kapitals, welches durch die Wirtschafts- und Außenpolitik der EU unter die Räder kam. Beispielsweise Unternehmen, welche durch Sanktionen gegen Russland einen großen Teil ihrer Geschäftsgrundlage verloren. Darüber hinaus konnte die Partei mit einem aggressiv neoliberalen Kurs überzeugen. Ihre führenden Mitglieder rekrutierten sich zu Beginn großteils aus WirtschaftsakademikerInnen und aus dem Mittelstand, welcher durch die Finanzkrise besonders unter Druck geraten war und im Euro den Grund allen Übels ausgemacht hatte.

Maßgeblich ausgelöst durch den Krieg in Syrien, stieg in den Jahren 2015 und 2016 die Zahl der Menschen, welche aus ihren zerstörten Ländern nach Deutschland flüchteten, stark an. Das Thema EU trat nun in den Hintergrund und es waren fortan vor allem Geflüchtete, die von der AfD für die zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen in Europa verantwortlich gemacht wurden. Die AfD wurde nun noch stärker zum Auffangbecken für viele RassistInnen und erzielte einen Wahlerfolg nach dem anderen.

Unter Führung von Björn Höcke entwickelte sich der faschistische „Flügel“ der AfD zu einer sehr starken Fraktion innerhalb der Partei. Mit rechter Sozialdemagogie versucht „der Flügel“ sich verstärkt eine Basis unter den Lohnabhängigen zu schaffen. Letztendlich bleibt der Rassismus und Nationalismus aber das Hauptthema, denn der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit kann von den rechten Pseudo-RevolutionärInnen niemals wirklich zum Thema gemacht werden. Bei der Besetzung der sozialen Frage durch die Rechten, bleibt es also beim Wahlkampfgeplänkel. „Der Flügel“ ist eng mit anderen Organisationen der neuen Rechten, wie dem Institut für Staatspolitik (IfS), der Identitären Bewegung und der Führung von PEGIDA vernetzt. Entsprechend drängt Höcke darauf, die AfD zu einer „bewegungsorientierten“ Partei zu machen und die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Kräften zu institutionalisieren.

Die UnterstützerInnen aus der herrschenden Klasse verschreckt das allerdings keineswegs. Der Rassismus war schließlich schon immer eine essentielle Stütze der AfD. Erfolgreich ist die Partei nicht obwohl sie einen faschistischen Flügel hat, sondern weil sie diesen hat. Umfragen zur Wahlentscheidung ergaben zur Europawahl 2019, dass knapp 70% der AfD-WählerInnen diese aufgrund ihrer rassistische Politik gegenüber Geflüchteten wählten. Dies zeigt sich auch an der Entwicklung der Partei „Liberal-Konservative Reformer (LKR)“. Diese wurde von Bernd Lucke gegründet, nachdem er den Machtkampf mit dem rechten Flügel der AfD verlor und aus der Partei gedrängt wurde. Mit LKR versuchte er das eigentliche Wirtschaftsprogramm der AfD, aber mit weniger offenem Rassismus, weiterzuführen. Die Partei verschwand in der Bedeutungslosigkeit.

Die stärkste Kraft bleibt aber auch nach dem Austritt von Lucke und seinen AnhängerInnen der national-neoliberale Flügel um Meuthen, Weidel und von Storch. Er konnte sich in der Grundsatzprogramm-Debatte der AfD fast vollständig durchsetzen und so liegt die Wirtschaftspolitik der AfD ganz auf Linie der herrschenden Klasse: Steuererleichterungen für Unternehmen, Besserverdiener & Grundbesitzer und die Abschaffung von Vermögens- und Erbschaftssteuer. Vor allem aus der Immobilienbranche erhält die Partei hierfür enorme Spendensummen. Die Nähe zu PEGIDA & Co. scheuen sie und versuchen die AfD zu einer reinen rechten Wahlpartei zu machen, welche mittelfristig auch regierungs- und koalitionsfähig sein soll.

Solange die AfD als rechte Sammlungsbewegung funktioniert und Wahlerfolge einfährt, halten die Flügel noch zusammen. Aber wie die Abspaltungen von Bernd Lucke und Frauke Petry zeigen, kann sich das auch schnell ändern, wenn die inhaltlichen Unterschiede zu offensichtlich werden oder Erfolge ausbleiben.

Bei Wahlergebnissen von über 20% in den neuen Bundesländern, kommt natürlich immer wieder die Frage nach einer Regierungsbeteiligung der AfD auf. Noch hadert die CDU mit diesem Schritt, aber mit dem zunehmenden Verfall der SPD wird es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sie sich zu einer schwarz-blauen Koalition hinreißen lässt. Was das für uns bedeutet, lässt ein Blick auf die beiden vergangenen Jahre in Österreich erahnen. Dort regierte bis vor kurzem einen schwarz-blaue Koalition aus ÖVP und FPÖ. Diese Regierungszeit war geprägt von massivem Sozialabbau und weiteren Angriffen auf die lohnabhängige Klasse. Innerhalb dieser kurzen Zeit wurde die 60 Stunden Woche ermöglicht, die Mindestsicherung von Familien gekürzt, die Körperschaftssteuer halbiert, Steuergeschenke an verschiedene Branchen verteilt und die finanziellen Mittel der sozialen Unfallversicherung drastisch gekürzt. Für die linke Opposition wurde es ungemütlicher, aber obwohl die FPÖ das Innenministerium stellte, wurden beispielsweise keine linken Gruppen oder Organisationen der ArbeiterInnenbewegung vom Staat zerschlagen. Auch kam es, abgesehen von den Hausdurchsuchungen beim „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)“, zu keinem großflächig angelegten Versuch die Behörden mit eigenen Mitgliedern zu unterwandern und gleichzuschalten. Letztlich setzte die FPÖ eine Politik zum autoritären Staatsumbau durch, wie sie hierzulande auch betrieben wird. Nur wesentlich aggressiver und in einem viel schnelleren Tempo. Auf eine faschistische Diktatur arbeitete die FPÖ als Ganzes aber nicht unmittelbar hin.

Allerdings wurde sie von ihrer eigenen Politik immer weiter nach Rechts getrieben. Die Umsetzung des neoliberalen Wirtschaftsprogramms steht im kompletten Gegensatz zu ihrer Rhetorik, Protestpartei gegen die bürgerliche Elite zu sein. Um davon abzulenken wurden ihre rassistischen Ausfälle wesentlich heftiger, als noch vor ihrer Regierungsbeteiligung. Damit brachen sie eine Regierungskrise nach der anderen vom Zaun, wodurch letztlich die Koalition zerbrach.
Auch für Parteien wie die AfD oder die FPÖ gilt: Der Großteil der herrschenden Klasse setzt so lange wie möglich auf die etablierten Parteien mit zuverlässigen BerufspolitikerInnen. Parteien mit größeren faschistischen Flügeln werden aber durch den zunehmenden Zerfall eben jener Volksparteien zur unausweichlichen Alternative.

Die Kräfteverschiebung innerhalb des liberal-konservativ-rechten Lagers hin zur AfD, führt schon zu Diskussionen über eine offene oder verschleierte Zusammenarbeit. Nach der Landtagswahl in Thüringen im Oktober 2019 wird bereits über ein CDU-AfD Bündnis beziehungsweise eine Minderheitsregierung mit Duldung durch die AfD diskutiert. Am rechten Rand der CDU wird schon länger die Werbetrommel für eine Annäherung an die AfD gerührt. Ein gutes Beispiel dafür ist Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans Georg Maaßen (CDU). Kein Wunder bei einem Beamten, der die rechte Gewalt kontinuierlich verharmlost und gedeckelt hat und zugleich mit seiner Behörde die militante Naziszene finanziell und personell förderte. In seiner Amtszeit hielt er auch lange Zeit seine schützende Hand über die AfD.

Auch in der Bewegungsphase hat der Faschismus eine Funktion für das Kapital

Dass der Faschismus an der Macht eine Form der bürgerlichen Herrschaft darstellt, haben wir bereits weiter oben ausgeführt. Doch auch in der Bewegungsphase hat der Faschismus schon eine Funktion für das Kapital.

In Krisenzeiten bekommen faschistische Organisationen aus unterschiedlichen Gründen Aufwind. Die etablierten bürgerlichen Parteien verlieren oftmals jede Glaubwürdigkeit und große Teile der Bevölkerung trauen ihnen eine Lösung der Krise nicht mehr zu. Die Alternative bilden dann sozialistische Parteien, die auf den Klassenkampf gegen die KapitalistInnen und die Solidarität unter den Lohnabhängigen bauen. Oder eben die extreme Rechte, welche eine Stabilisierung oder Verbesserung der eigenen Position mittels der Herabsetzung von anderen Lohnabhängigen (MigrantInnen, Frauen, Homosexuelle, etc.) verspricht. Wenn die Linke schwach ist, steigt die Gefahr, dass weite Teile der Bevölkerung angesichts der Wirkungslosigkeit des Widerstands gegen die Angriffe der Herrschenden in Apathie versinken oder sich den Rechten zuwenden. Wenn die Linke jedoch stark ist, werden die Herrschenden die FaschistInnen um so mehr unterstützen. Die FaschistInnen spielen die Rolle eines „Schlagrings“ gegen die fortschrittliche Bewegung und die kämpfenden Teile der Gesellschaft.

Ein gutes Beispiel hierfür stellt die faschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) in Griechenland dar. Die ehemalige unbedeutende Kleinstorganisation wuchs im Verlauf der Krise zur drittstärksten Partei heran. Von den AnhängerInnen der Partei wurden und werden unzählige Anschläge auf MigrantInnen und linke Strukturen verübt, welche von Übergriffen auf der Straße über Brandanschläge bis hin zu gezielten Morden reichen. Dies geschah teilweise in direkter Absprache mit Teilen der herrschenden Klasse. Zum Beispiel am 12. September 2013 überfielen in der Hafenstadt Perama nahe Piräus etwa 40 FaschistInnen mehrere Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaft PAME mit Eisenstangen und verletzten diese teils schwer. Nur fünf Tage später verkündeten die faschistische Partei, mit dem Aufbau einer eigenen Gewerkschaft in den Docks beginnen zu wollen, um den Einfluss der PAME zurück zu drängen. In der gleichen Zeit erhielt die Goldene Morgenröte eine sechsstellige Spende von mehreren ReedereibesitzerInnen aus Perama. Nachdem sich die Lage in Griechenland allerdings wieder einigermaßen beruhigt hatte, wurden die FaschistInnen jedoch vermehrt mit Repression seitens des Staates konfrontiert und haben mittlerweile auch alle Parlamentssitze verloren.

Auch in Deutschland greifen faschistische Strukturen massiv die fortschrittliche Bewegung an. Bekannte Beispiele sind der Angriff auf Leipzig-Connewitz 2016 oder die Serie von Brandanschlägen auf Linke in Berlin-Neukölln seit 2011. Auch die Ziele des „Hannibal“-Netzwerkes waren darauf ausgerichtet eine linke Opposition auszuschalten.

Die Machtübergabe an eine faschistische Partei ist unserer Einschätzung nach nur die letzte Option der herrschenden Klasse. Diese Möglichkeit spielt in Situationen eine Rolle, in der führende Kapitalkreise keinen anderen Ausweg sehen, um ihre Macht zu erhalten. Doch auch vorher hat der Faschismus die objektive Funktion die revolutionären Kräfte zu schwächen, damit diese gar nicht erst stark genug werden, um die Machtfrage überhaupt zu stellen.

Haben wir es mit einer Faschisierung der BRD zu tun?

Einige antifaschistische Organisationen bezeichnen den rasanten Ausbau eines autoritären Staates und die immer offenere Sympathie von Teilen der Repressions-Organe mit der neuen Rechten als „Faschisierung“ des Staates. Der Begriff legt nahe, dass immer mehr faschistische Elemente in die Staatsform eindringen, bis ein Punkt erreicht ist an dem der Faschismus dann herrscht. Also eine Art lineare Entwicklung vom bürgerlichen Parlamentarismus hin zur faschistischen Diktatur. Dem ist aber nicht so. Auch im Parlamentarismus kann bis zu einem gewissen Grad ein autoritärer Staat mit diktatorischen Zügen umgesetzt werden. Aber zur Errichtung einer faschistischen Diktatur müssen sowohl die Parlamente entmachtet, als auch jegliche demokratische Opposition zerschlagen werden. Eine lineare Entwicklung ohne Bruch ist also nicht möglich.

Zwar kann sehr wohl von einer Faschisierung der AfD gesprochen werden, sollte es beispielsweise dem faschistischen Flügel gelingen, das neoliberal-konservative Lager aus der Partei hinaus zu drängen. Deswegen ist der Begriff aber nicht auf alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen faschistische Kräfte mehr Einfluss erlangen, übertragbar.

Für uns ist es wichtig, den qualitativen Unterschied zu betonen, der darin liegt ob immer mehr PolizistInnen offen mit FaschistInnen sympathisieren oder ob wir es mit dem entfesselten Terror eines faschistischen Regimes zu tun haben. Auch ersteres werden wir in unserer antifaschistischen Praxis deutlich zu spüren bekommen. Es ist aber nichts gegen die Repression, mit der wir im letzteren Falle zu kämpfen hätten. Im Faschismus wird allein das Lesen eines solchen Textes reichen, um in Schutzhaft zu verschwinden. Der autoritäre Staatsumbau wird von der CDU/CSU vorangetrieben, genauso wie von SPD und Grünen. In Brandenburg ist sogar die Linkspartei an einer Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes beteiligt. Auf die Funktion der Sozialdemokratie für die Kapitalherrschaft möchten wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Für alle bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien gilt aber, dass sie die ArbeiterInnenbewegung integrieren wollen, während das oberste Ziel des Faschismus ist, die ArbeiterInnenbewegung zu zerschlagen. Gewaltsame Unterdrückung ist in der gegenwärtigen Situation eine begleitende Maßnahme, jedoch nicht die Hauptsache. Und natürlich bereiten sich die Herrschenden auf zukünftig zu erwartende Auseinandersetzungen vor. Dies ist jedoch keine Ausnahmesituation, sondern die Regel.

Wir halten es deshalb für einen Fehler, massive Angriffe auf die Errungenschaften der lohnabhängigen Klasse, welche noch innerhalb des normalen bürgerlich-demokratischen Parlamentsbetriebs geschehen, als „Faschisierung“ zu bezeichnen.

Die Antifaschistische Aktion aufbauen

Die faschistische Bewegung befindet sich also im Aufwind. Die AfD verbreitet in Parlamenten rassistische Hetze, während die Regierung den Ausbau eines autoritären Überwachungsstaates vorantreibt. Gleichzeitig verletzen und ermorden FaschistInnen auf der Straße Menschen und rechte Bullen und BundeswehrsoldatInnen legen Waffendepots an, um am „Tag X“ Linke zu liquidieren. Bisher werden Putschversuche militanter FaschistInnen vom Staat aber noch in der Vorbereitungsphase unterbunden. Auch die AfD als Ganzes ist zwar rassistisch, sexistisch, greift die Rechte der Lohnabhängigen an und fungiert als Kristallisationspunkt der rechten Bewegung, sie strebt aber aktuell nicht die Errichtung einer faschistischen Diktatur an. Wir gehen deshalb nicht davon aus, dass es in Deutschland in den nächsten Jahren einen neuen Faschismus geben wird.

Aber die historische Situation kann sich, zum Beispiel im Krisenfall, sehr schnell ändern. Auch wenn die herrschende Klasse sich gerade einige Mittel zur Aufstandsbekämpfung zulegt, heißt das noch lange nicht, dass diese auch ausreichen, um mit den zu erwartenden Revolten während einer erneuten Krise fertig zu werden. Gerade stehen wir dem autoritären Staatsumbau ohnmächtig gegenüber, aber den Widerstand einer organisierten Klasse der Lohnabhängigen wird dies kaum aufhalten. Die Klassenkämpfe sind noch auf einem sehr niedrigen Niveau, doch die Geschichte hat gezeigt, dass eine Radikalisierung breiter Massen unter günstigen historischen Verhältnissen in Windeseile vonstattengehen kann. In einer solchen Situation kann dementsprechend auch der Faschismus wieder zur Option für die Bourgeoisie werden. Das ist unter anderem einer der Gründe, weshalb der Staat rechtsterroristische Strukturen nicht komplett zerschlägt, sondern nur deren Handlungsspielraum eindämmt. Vielmehr wird versucht, mittels dem gezielten Unterwandern durch Polizei und Inlandsgeheimdienst diese Strukturen unter Kontrolle zu halten. Gelingt das nicht, muss der Staat zwar eingreifen, hohe Strafen hat aber niemand zu erwarten und die UnterstützerInnennetzwerke werden gar nicht erst angetastet. Das war so beim NSU und wiederholte sich seitdem bei fast allen faschistischen Organisationen, welche vom Staat angegriffen wurden.

Auf den Staat ist also nach wie vor kein Verlass, auch wenn er hin und wieder rechte Strukturen zerschlägt. Er tut dies aus vollkommen anderen Gründen, welche mit Antifaschismus rein gar nichts zu tun haben. Unabhängig davon wie der Staat sie gerade behandelt, sind FaschistInnen außerdem immer eine konkrete Bedrohung für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Für uns bedeutet das die Notwendigkeit, einen handlungsfähigen antifaschistischen Selbstschutz aufzubauen. Erstens um im Hier und Jetzt den Übergriffen und Anschlägen Einhalt gebieten zu können. Denn eine der Hauptaufgaben von antifaschistischen Strukturen muss es sein, sich selbst und andere vor Naziübergriffen zu schützen. Natürlich sind FaschistInnen im Untergrund für uns momentan kaum zu bekämpfen. Wir müssen uns aber vergegenwärtigen, dass alle militanten Nazis mal klein angefangen haben. Jede alltägliche Praxis gegen faschistische Strukturen kann deshalb Auswirkungen darauf haben, dass die FaschistInnen überhaupt nicht so weit kommen. Zweitens muss es unser Anspruch sein, die Gefahr eines neuen Faschismus in der Zukunft bereits heute zu verhindern. Denn für die herrschende Klasse können die FaschistInnen nur dann zur Handlungsoption werden, wenn sie in der konkreten Situation auch stark genug sind. Das können wir am besten verhindern, wenn wir schon lange bevor es soweit ist, ihre Strukturen angreifen und sie dadurch hindern, überhaupt eine entsprechende Stärke zu erlangen! Die Erfahrung der Antifaschistischen Aktion in den letzten Jahren der Weimarer Republik zeigt außerdem, dass militante AntifaschistInnen notwendig waren, damit linke Veranstaltungen und Aktionen überhaupt stattfinden konnten.

Dafür müssen wir uns aus der Vereinzelung befreien und antifaschistische Strukturen aufbauen. Tatsächlich handlungsfähig werden wir nur, wenn wir uns verbindlich organisieren und nicht nur lose Zusammenhänge zu einzelnen Kampagnen bilden. Aus den Erfolgen und Fehlern der Vergangenheit zu lernen, ist nur möglich, wenn wir dauerhaft gegen den Rechtsruck und die FaschistInnen kämpfen. Den Feind und seine Strukturen zu kennen, ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Praxis. Auch dieses Wissen lässt sich nur durch kontinuierliche Arbeit aneignen.

Eine weitere Grundvoraussetzung ist es, Menschen für den antifaschistischen Kampf zu aktivieren, die am kapitalistischen System genauso wie an Faschismus und Rechtsruck kein Interesse haben. Hierzu müssen wir klare Alternativen aufzeigen. Wenn wir den weltweiten Rechtsruck als Folge der Krise des Kapitalismus und des Fehlens an Auswegen aus dieser sehen, können wir den Rechten nur dann den Wind aus den Segel nehmen, wenn wir eine Perspektive jenseits kapitalistischer Konkurrenz und Vereinzelung bieten können. Der Kampf um eine solidarische Gesellschaft ist unmittelbar mit dem antifaschistischen Kampf verbunden. Ohne den einen können wir den anderen nicht gewinnen! Deshalb müssen wir eine Aktionseinheit mit jenen Teilen der Gesellschaft bilden, die bereit sind, sich den FaschistInnen in den Weg zu stellen. Wir müssen also ansprechbar sein. Das gilt für uns als Einzelpersonen auf der Straße, genauso wie für uns als Strukturen. Nur so können wir unsere Position stärken und in die Lage kommen, effektiv und flächendeckend den Rechtsruck anzugreifen. Denn es genügt nicht die FaschistInnen in einzelnen Regionen zurück zu drängen. Antifaschistische Arbeit und Organisierung muss mit einer überregionalen Perspektive verbunden sein.

Die Antifaschistische Aktion aufbauen!

Antifaschistische Aktion Karlsruhe
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim
Antifaschistischer Aufbau München
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Tübingen
Antifaschistische Aktion [O] Villingen-Schwenningen

  • 1
    Die Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte stiegen ab 2015 stark an. Für 2016 verzeichnet die gemeinsame Chronik der Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl einen Höchstwert von 3.768 Angriffen. Danach sank die Zahl wieder von 2.285 in 2017 auf 1.434 in 2018. Für 2019 sind zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes 37 Übergriffe dokumentiert. Die Dunkelziffer liegt vermutlich für alle Jahre deutlich über den angegebenen Zahlen.
  • 2
    Walter Lübcke war ein hessischer CDU-Politiker und bis zu seinem Tod Regierungspräsident im Regierungsbezirk Kassel. Durch Aussagen gegen Pegida-Anhänger erlangte er größere Bekanntheit. Am 02. Juni 2019 wurde er mutmaßlich durch den Faschisten Stephan Ernst getötet.
  • 3
    Nordkreuz war zusammen mit Südkreuz und Westkreuz Teil des faschistischen Hannibal-Netzwerks. Im Rahmen der Ermittlungen gegen den faschistischen Oberleutnant der Bundeswehr Franco Albrecht im Sommer 2017 wurde die Struktur aufgedeckt
  • 4
    Im April 2019 wurden bei einem Faschisten in Hannover 51 Waffen, Munition, rund 100.000€ Bargeld sowie Nazi-Orden gefunden.
  • 5
    Die faschistische Gruppe „Revolution Chemnitz“ wurde im Herbst 2018 festgenommen, nachdem bekannt geworden war, dass sie sich um halbautomatische Schusswaffen bemüht hatten. Sie waren schon in der Vergangenheit an faschistischen Attacken beteiligt und sollen für den 03. Oktober einen Angriff auf die „Einheitsfeierlichkeiten“ geplant haben.
  • 6
    Bei der Gruppe „Nordadler“ fanden im April 2018 Hausdurchsuchungen statt. Sie hatten Listen mit persönlichen Daten von AntifaschistInnen sowie PolitikerInnen angelegt und sich in Chats über Waffen und mögliche Anschlagsziele ausgetauscht.
  • 7
    Andreas Hollstein ist Mitglied der CDU und Bürgermeister der westfälischen Stadt Altena. Am 27. November 2017 stach ihm ein Mann mit einem Messer in den Hals und verletzte in gefährlich. Sein Motiv war die Politik gegenüber Geflüchteten des CDU-Mannes. Sie war ihm zu „liberal“.
  • 8
    Henriette Reker ist parteilose Oberbürgermeisterin von Köln. Am Tag vor ihrer Wahl wurde sie bei einem Wahlkampftermin mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Auch hier wurde die Politik gegenüber Geflüchteten als Motiv angegeben. Der Täter war ein früheres Mitglied der ehemaligen faschistischen Partei FAP.